Schloss am Strom
Christoph Werner
Die Geschichte vom Leben und Sterben des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel. 2004, 168 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3-937601-11-3
Preis: 8,00 €
Schinkel kämpft in seinen Fieberträumen um die Vollendung seines Bildes "Schloss am Strom". Er durchlebt auf seinem Krankenbett noch einmal sein erfülltes und von krankmachendem Pflichtgefühl gezeichnetes Leben und die Tragik des Architekten und Künstlers, der sich zum Diener des Königs machen ließ.
Immer weicht die Leinwand zurück, wenn er den Pinsel ansetzen will. Wie soll die Hoffnung kenntlich werden, wenn es ihm nicht gelingt, die weiße Taube über den Reben ins Bild zu bringen. Brentano hatte so freundlich gelächelt, als er dessen Stegreifgeschichte noch beim Erzählen in eine Zeichnung brachte. Und nun in Öl, fast fertig auf der Staffelei, und er kann mit dem Pinsel nicht mehr daran gelangen.
Rezension
Ein biographischer Roman über Preußens und Deutschlands berühmtesten Architekten des 19. Jahrhunderts, Karl Friedrich Schinkel.
Den Rahmen des Romans bildet die Arbeit Schinkels an seinem Gemälde „Schloß am Strom“, um dessen Vollendung er in seinen Fieberträumen kämpft. Er war im Herbst des Jahres 1840 nach einem Schlaganfall ins Koma gefallen, aus dem er nur hin und wieder das Bewusstsein erlangte.
Es gelingt dem Autor ausgezeichnet, das Spannungsverhältnis zwischen Künstler- und Beamtentum in Dialogen und Handlungssträngen lebendig werden zu lassen, in das sich Schinkel durch seinen freiwilligen und ersehnten Eintritt in den Dienst des Königs von Preußen und die preußische Oberbaudeputation begeben hatte. Er klagte einmal in einem Brief an den Minister für Handel und Gewerbe Hans-Victor von Bülow, dass er „innerlich zerrissen werde durch Arbeiten, zu denen ich die Zeit meiner eigentlichen Bestimmung entziehen muß.“ Doch der Minister konnte Schinkels Konflikt nicht lösen, dieser musste lernen, damit zu leben. Das versuchte er, um dann an dem Übermaß an Arbeit, an seinem protestantisch-preußischen Pflichtgefühl sowie an seiner überwältigenden Phantasie und dem Versuch, sie zu disziplinieren, auf den Tod zu erkranken. Das Buch enthält einen überzeugenden gedanklichen Monolog Goethes über die Problematik des Künstlers, der gleichzeitig im Dienste des Staates steht. Goethe sieht zwar die Tragik in Schinkels Leben, erkennt aber gleichzeitig, welchen nachhaltigen Einfluss Schinkels Wirken auf die Architektur in Preußen und Deutschland haben wird.
Goethe hat die Architektur einmal als steingewordene Musik bezeichnet. Das hat den Verfasser des Romans offensichtlich angeregt, Schinkel bei der Wiederaufführung der Matthäuspassion von Bach durch Zelter und Mendelssohn-Bartholdy im Jahre 1829 anwesend sein zu lassen. Schinkel vergleicht und meditiert über Musik und Architektur (er war selbst musikalisch äußerst begabt und konnte nach Anhören einer Oper diese nach dem Gehör auf dem Klavier nachspielen) und kommt zu interessanten Schlussfolgerungen.
Der Autor entgeht der Versuchung, die Krankheit und den zu frühen Tod des Architekten seinem Arbeitgeber, dem König Friedrich Wilhelm III anzulasten. Vielmehr hat dieser durch seine Sparsamkeit und Rücksicht nehmend auf die wirtschaftliche Lage Preußens womöglich Schinkel veranlasst, seine künstlerischen Vorhaben in realisierbare Formen zu bringen, was zu den schönsten Ergebnissen führte, wie man am Berliner Schauspielhaus und dem Alten Museum sehen kann.
Die Person Schinkel ist, anders als zuweilen in der Literatur dargestellt, durchaus auch der Kritik zugänglich. Wie der Autor zum Beispiel mit Schinkels gelegentlichen antisemitischen Äußerungen umgeht, wird den Leser sehr nachdenklich stimmen.
Das Buch ist in einer klaren, man möchte fast sagen klassizistischen Sprache geschrieben. Wenn der Autor Tagebucheintragungen Schinkels oder zeitgenössische Äußerungen als Collagen verwendet, ist es fast unmöglich, diese als solche zu erkennen. Der Wechsel der Erzählperspektive ist durch die Anlage des Romans bedingt und notwendig.
Das Buch ist, nach Wissen des Rezensenten, die erste belletristische Darstellung dieses bedeutendsten deutschen klassizistischen Architekten, Malers, Bühnenbildners, Innendekorateurs, Möbeldesigners und obersten Baubeamten Preußens, der im Jahre 1781 geboren wurde. Das bedeutet, dass wir im Jahre 2006 die 225. Wiederkehr seines Geburtstages begehen. „Schloß am Strom“ ist das passende Geburtstagsgeschenk.
Leseprobe
Am 11. September des Jahres 1840 hatte sich vor dem Portal der Bauakademie in Berlin eine kleine Menge von Schaulustigen versammelt. Während aber sonst jede Ansammlung von Berlinern von Lärm und groben Witzworten begleitet wurde, waren die Leute heute still. Sie schauten bedrückt auf die beiden Kutschen, die vor der Bauakademie hielten. Sie gehörten den Geheimen Hofräten Dr. Horn und Dr. v. Stosch, die auf Wunsch des Hausarztes Dr. Pätsch herbeigeeilt waren, um ihn bei der Behandlung des Geheimrats Schinkel zu unterstützen. Nun warteten die Leute darauf, dass die Ärzte wieder herauskamen, und hofften, etwas über den Zustand des durch seine zahlreichen Bauten in Berlin überaus populären Oberlandesbaudirektors zu erfahren.
Plötzlich entstand Bewegung unter den auf den unteren Treppenstufen vor dem Portal sitzenden, meist jugendlichen Berlinern. Sie standen rasch auf und traten beiseite, denn die schwere Tür wurde von innen geöffnet und die drei Ärzte traten mit wichtigen Mienen heraus. Dr. Pätsch begleitete seine beiden älteren Kollegen ehrerbietig zu ihren Kutschen, und die Umstehenden konnten einige Worte verstehen, die die Herren wechselten. Sie hörten Fieber und erneuerte Turgescenz des Blutes zum Gesicht und Kopfe, konnten sich aber keinen Reim darauf machen. Dann jedoch, als Dr. Horn in seine Kutsche stieg, die Tür schloss und sich durch das Fenster noch einmal an seinen Kollegen Pätsch wandte, konnte man deutlich verstehen, wie er sagte: „Also, Herr Kollege, greifen Sie schnell zu den besprochenen Maßnahmen. Ein erneuter Anfall könnte das Ende sein.“ Damit gab er seinem Kutscher ein Zeichen, und die Kutsche fuhr, wie bereits die des Geheimen Hofrates v. Stosch, durch die auseinanderweichende Menge davon. Pätsch ging ins Haus zurück, um sich erneut dem Kranken zu widmen.
Immer, wenn er den Pinsel ansetzen wollte, wich das Bild zurück. Wie sollte er die Hoffnung kenntlich machen, wenn es ihm nicht gelang, über den Reben die weiße Taube ins Bild zu setzen. Brentano hatte so freundlich gelächelt, als er des Dichters komplizierte Stegreifgeschichte noch beim Erzählen in eine Zeichnung brachte. Und nun in Öl, fast fertig auf der Staffelei, und er konnte mit dem Pinsel nicht mehr daran gelangen. Die Leinwand wich zurück, er wollte ihr nach, aber es hielt ihn jemand von hinten fest, hatte die Arme um ihn geschlungen und ließ ihn nicht los. Ah, Herr von Bülow, Exzellenz, - ist doch schon längst tot, der Minister - die Sphäre des Artistischen, welche allein mir zusagt, hat eine so unendliche Ausdehnung. Mit Bekümmernis fühle ich, daß ich noch mehr darinnen hätte leisten können. Meine Arbeiten zerreißen mich innerlich und ziehen mich von meiner eigentlichen Bestimmung ab. Der Minister hielt ihn fest, wie konnte er auch anders.
Er hatte Seiner Exzellenz seine Aufgaben auf eine – unvollständige – Liste geschrieben: künstlerische Begutachtung aller Staatsbauten für die Oberbaudeputation, seine eigenen Bauten, die vielen Aufgaben im Auftrag des Königshauses, der Senat der Kunstakademie und die Professur dortselbst, die Einrichtung des Museums am Lustgarten, zu schweigen von den Ehrenmitgliedschaften in sieben Akademien sowie im Royal Institute of British Architects... Er verwirrte sich, wie konnte er beim Minister, der doch längst hinab war, auch noch klagen über die Inspektionsreisen in die sämtlichen preußischen Provinzen.
Die Leinwand kam wieder näher, jetzt mußte es gelingen, mit unendlicher Anstrengung, die ihn schwindeln ließ, reckte er die Hand mit dem Pinsel gegen das Bild, die Arme hielten ihn zurück, er zog und zerrte und erreichte das Bild und siehe, der erste weiße Farbtupfer in den Weinreben über dem Knaben war sichtbar. Er fühlte, daß sich in seinem Kopf etwas spannte, beinahe zerriss, und das Bild vor ihm verschwamm.
Wenn doch Gott nur ein Erbarmen hätte und diese Kopfschmerzen von ihm nähme. Wie sollte er denn arbeiten und alles fertigstellen, was ihm aufgetragen war. Der Geheime Rath in Weimar hatte ihn freundlich davor gewarnt, seiner Natur Gewalt anzutun. Nun, jener tat das sicher nicht. Hatte aber geholfen und ihn treulich beraten, in dem Jahr, als er vom König den Auftrag zur Neuen Wache erhielt, in der Angelegenheit der Boissereéschen Gemäldesammlung. Das Verhältniß, in welchem Herr von Goethe mit den Brüdern Boisserée stand, war hinreichend bekannt und derselbe hatte die große Güte, während eines ganzen Tags, den er bei ihm zubringen konnte, die willkommenste Auskunft über den Werth ihrer Sammlung mitzutheilen. Herrn von Goethe war aber nicht ganz wohl, trug wegen einer Geschwulst am Kinnbacken Pflaster. Er hatte die Tage zuvor niemanden angenommen, und die junge Frau von Goethe sagte, daß er schwerlich die Krankenstube verlassen haben würde, wenn nicht ein solcher Gast gekommen wäre.
Hochgeborner, Insbesondere Hochzuverehrender Herr Staats- und Cabinets= Minister, für Berlin ist diese Sammlung ein überaus großer Schatz. Viel Einseitigkeit des Urtheils wird dadurch verdrängt werden, daß Preußen im Auslande und im Inlande selbst nicht beständig mehr blos als Finanz- und Militairstaat erscheint.
Die Sammlung kam nicht an Preußen, fast war er verzweifelt, hatte er versagt? Sulpiz Boisserée, wie haben seine Risse geholfen beim Kölner Dom. Wenigstens das wurde geschafft, dank Zwirner, nachdem Seine Majestät Höchstselbst die Präservation befohlen hatte. Den Baukondukteur Zwirner hatte er gefördert, ehe dieser seinen Phantasien als Restaurator der alten rheinischen Baudenkmale phantomhaft nachjagte. In Halle noch, beim Bau der Universität, war alles im Gleichgewichte zwischen ihnen, obwohl zu Zeiten merklich wurde, wie anders Zwirner der Restauration des Alten gegenüberstand und alles im reinsten Stile erhalten und auffrischen wollte, uneingedenk anderer, übergeordneter, klassischer Gedanken.
Es zerrte in seinem Kopf, seine Augen wurden von innen gepreßt, eine blutfarbene Wolke schwamm vorüber, dann konnte er das Bild wieder sehen. Der weiße Farbtupfer war noch da, er führte die Hand vor und konturierte und malte den Körper, den Hals und den Kopf der Taube, ehe das Bild zurückwich; er drückte und zog nach, doch, festgehalten, konnte er nicht mehr daran kommen, die Anstrengung ließ ihn das Bild aus dem Blick verlieren. Liebste Susanne, leg Deine kühle Hand auf meine Stirn. Ich habe es an Zugeneigtheit fehlen lassen, Gott hat mir die Zeit nicht gegeben. Nicht Gott. Du wolltest bauen, für die idealische Erhöhung des Individuums, für den Ruhm des Königshauses, und weil du rastlos, in krankmachender Pflicht, tätig sein mußtest. Hast Dich dem König untertan gemacht, als Du nicht weiter kamst im freien Künstlertum. Vermochtest auch nicht nein zu sagen und hattest mir doch aus Bangor in dem Lande Wales die Zeichnung der Hängebrücke des Thomas Telford über die Menai Strait geschickt und geschrieben, liebe Susanne, less is more. England, die neue Zeit, glaubt gar nicht mehr an ein Bestehendes und hat endlich für kein Ding die Zeit, es zu genießen. Wolle man doch erkennen, daß nicht die Veränderung, daß nicht das Beliebige, sondern als Resultat vielfältigster Bemühungen das Bestehende zu würdigen ist und gleichsam ein Unverfügbares bildet. So auch der Glaube des Kronprinzen. Kopf oben, Schinkel, wir wollen einst zusammen bauen. Wie trostvoll hatte seine Königliche Hoheit es doch gemeint, wenn er den Schmerz nicht niederdrücken konnte, daß seine Lieblingspläne nicht zur Ausführung kamen oder ohne Erbarmen beschnitten wurden. Wie in Halle, die Universität, die Moritzburg. Nimmt doch wenige Tage, nachdem der Minister die Abtragung des alten Schauspielhauses angeordnet, die gesamte Bauangelegenheit eine unerwartete Wendung, die Altenstein ihm mitteilt. Des Kronprinzen Königliche Hoheit haben geäußert, es sei sehr schade, daß als Universitätsbau die Moritzburg nicht verwendet worden wäre. Alles spräche für den Plan, die reizende Lage der Moritzburg, der Umstand, daß Reitbahn, Bibliothek, physikalisches und chemisches Laboratorium, das zoologische und mineralogische Kabinett, die Anatomie und vor allem das Entbindungsinstitut sich in der Nähe befinden.
Seine Königliche Hoheit, der liebe Narr, entwickelte Kunstsinn und Talent für die zeichnenden Künste – Schinkel und Rauch, hieß es ehrenvoll, seien dafür maßgeblich – und geriet doch immer mehr in jene mittelalterlich-romantische Geistesrichtung, die wohl, wenn er den Thron besteigt, sich orthodoxen und ultramontanen Einflüssen nicht wird verschließen können. Die Moritzburg war eine gute Wahl unter den fünf Plätzen, die Bauinspektor Schulze vorgeschlagen hatte: am Waisenhause, am Kleinen Berlin, am Steintor, am Ulrichstor und eben die Moritzburg. Da freut es ihn umso mehr, daß Königliche Hoheit die unmittelbare Anregung von ihm hat, es auch nicht verleugnet in Ihrem Brief an den Oberpräsidenten von Magdeburg, der Geheime Oberbaurat Schinkel habe die Bemerkung gemacht, ob es nicht möglich sein sollte, die ihrem gänzlichen Verfall sehr nahe Moritzburg wiederherzustellen und sie zu dem in Rede stehenden Zwecke einzurichten. Sei es der Kronprinzlichen Hoheit gedankt, die sich mit Halle verbunden fühlte, die Ruine des Amtes Giebichenstein besuchte, die Ihr der König nach dem Friedensschlusse zugewiesen, und die Restauration der Ruinen auf dem Petersberg veranlaßte.
Kurz, er hatte trotz vielfältiger anderer Arbeiten Zeichnungen und Anschläge für sein Moritzburgprojekt geliefert, darunter die große perspektivische Gesamtansicht, weil die rein architektonischen Risse einem Laien keine hinreichende Anschauung von der Wirkung der ganzen Anlage geben. Beschrieb auch die Vorzüge gegenüber einem gänzlichen Neubau, weil der Zwang einer vollkommenen Symmetrie hier nicht stattfindet, sondern man vielmehr den individuellen inneren Bestimmungen fast ganz frei folgen kann und sich dadurch der Hauptcharakter des Malerischen, welchen ein altes Gebäude dieser Art hat, fast immer von selbst ergibt. Das Projekt zerschlug sich infolge der nicht vorherzusagenden Baukosten, der Verhandlungen mit den Erbpächtern, der Notwendigkeit der Beschaffung anderweitiger Lokalien für die Militär- und Salinebehörden sowie des ablehnenden Berichtes des Geh. Oberbaurates Matthias.
Das Bild gewann Nähe, wurde deutlicher, kam noch näher, und er konnte die Taube vollenden. Eilig, in Angst, das Bild könne sich ihm wieder entziehen, setzte er den schwarzen Punkt für das Auge, und da plötzlich ließen ihn die Arme los, daß er, endlich frei, in das Bild taumelte. Schweratmend lehnte er sich an den Baum in der Mitte. Vor ihm leuchtete der Strom, ein leiser Wind wehte vom blauen Himmel und der Hirsch wandte den beweihten Kopf nach rechts, ihm zu. Er beschattete die Augen mit der Hand und blickte in die blaue Ferne, wo sich Orianda erhob, seine Vision von Baukunst, gelöst von den niederdrückenden Zwängen der Gegenwart und der törichten Frage nach der Bewohnbarkeit.
Er ging vorsichtig den Weg zum Flußufer hinab, hielt sich am Geländer, obwohl Kopfschmerz und Schwindel vergangen waren. Den Fuß auf das Wasser gesetzt, das ihn trug, und forteilend verschwand seine Gestalt in der dunstigen Ferne und wurde eins mit dem Schloß.
Am gestrigen Tage, dem 9. Oktober 1841, verstarb nach langer Krankheit der Oberlandesbaudirektor und Geheime Rat, der Professor der Königlichen Akademie Karl Friedrich Schinkel. Er war bis auf wenige lichte Momente nicht mehr aus seiner Ohnmacht erwacht, in die er am 9. September vergangenen Jahres gefallen war. (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung von Staats= und gelehrten Sachen vom 10. Oktober 1841)