Die Bunte-Kinder
Johannes E. R. Berthold
Lustige und ernste Geschichten über eine wundervolle Kindheit, 2007, 120 Seiten
ISBN: 978-3-937601-53-3
Preis: 7,95 €
Dies ist ein Buch über wahre und heitere Begebenheiten von aufgeweckten Kindern, für Menschen, die sich ihr kindliches Gemüt bewahrt haben und für Kinder, denen Romantik noch etwas bedeutet.
Es ist aber auch ein Buch über wahre und ernste Geschichten, über Streiche von Kindern, die diese zum Spaß, aus Übermut und Neugier, aber auch aus Mutwillen begangen haben und über gefährliche Abenteuer und Dummheiten.
Und es ist auch ein Buch über Neckereien und kindliche Zärtlichkeiten, die heute eher selten geworden sind und nach denen sich viele Kinder und Erwachsene sehnen.
Leseprobe
Wir Bunte-Kinder wuchsen weder in einer Stadt noch in einem Dorf auf, sondern lebten weitab von der Stadt Bischofswerda und ihren umliegenden Dörfern an der Grenze zur Oberlausitz. Weitab, zumindest für unsere kurzen Beine, führten wir ein Leben, von dem ein Stadtkind nur träumen kann. Wir tummelten uns am Rande eines Waldes, umgeben von Wiesen, Teichen, Gräben und dem Flüsschen Wesenitz, und lebten in der kleinen, alten, verträumten Bunt- und Luxuspapierfabrik, die überall in der Umgebung nur „Bunte“ genannt wurde. Diese lag zwischen den wunderschönen Dörfern Goldbach, Weickersdorf, Kleindrebnitz und Großharthau. Es gehörte, was den Bürgermeister betraf, zu Goldbach, durchflossen von einem winzigen Bächlein, dem Goldbach. Dort gingen wir zur Schule. Diese hatte nur zwei Lehrer, Kantor Gelbke und Herrn Schlenker.
Die Bunte war nicht etwa eine von den üblichen Fabriken, nein, sie war etwas ganz Besonderes. Sie schaute nämlich nur an einigen Stellen unter den vielen hohen und alten Kastanien, Eschen und Eichen hervor, deren lange und knorrige Äste fast überall ihre alten Gebäude verdeckten. Natürlich lagen auch die Wohnhäuser, in denen wir Bunte-Kinder mit unseren Eltern wohnten, größtenteils unter diesen schattigen Bäumen. Nachts, wenn der Wind so richtig fest in die Baumkronen fuhr, rauschte das dichte Laub, und die vielen Käuzchen, die darin hockten, veranstalteten gar oft ein angsterregendes Konzert. Wir Bunte-Kinder hatten uns daran längst gewöhnt. Wir schliefen fest und traumlos.
Traumlos? Wirklich traumlos? Vielleicht träumten wir aber doch öfter von unseren vielen Streichen und Abenteuern, die wir im Laufe der Zeit vollbrachten oder erlebten.
Und die vielen Fledermäuse, die in den alten Gemäuern der Bunte hausten, flogen in der Dämmerung und in der Nacht in wildem Zick-Zack um die Bäume und Gebäude und fraßen sich an den vielen Mücken und dickleibigen Nachtfaltern satt. Am nächsten Morgen lagen dann manchmal auf den Gartenwegen und auf den Terrassen nur noch die Insektenflügel.
Nicht nur Fledermäuse, nein, auch viele Igel gab es, die sich am Vertilgen der Insekten beteiligten. Und Würmer und Schnecken, ihre Leibspeise, hatten keine Chance gegen sie, was die Igel bei unseren Eltern besonders beliebt machte. So war es kein Wunder, dass sie unter der Veranda und im Schuppen, der unseren Eltern gehörte, wohnen durften.
Martin, unser Vater, war der Buchhalter der Fabrik und mit Direktor Junge, dem Leiter der Fabrik, befreundet.
Mein Bruder Rüdiger und ich waren zwei aus der Schar der Bunte-Kinder, die man mit Recht als Rädelsführer oder Räbchenführer dieser lieben Bande bezeichnete. Lieb deshalb, weil wir natürlich nie etwas „ausfraßen“, das auf einer bösen Absicht beruhte. Wenn einer der vielen Streiche, die wir ausführten, einmal herauskam, verzog sich Rüdiger, der Ältere, in den kleinen Hof hinter dem Elternhaus. Dort rannte er so lange um den knorrigen, alten Hackstock herum, bis Vater Martin, der mit erhobenem Rohrstock hinter ihm her lief, die Jagd ermüdet aufgab.
Ich als der Jüngere wagte das nicht. So war ich jedes Mal wie vom Erdboden verschluckt, wenn es Schläge geben sollte. Eigentlich konnte ich aber ganz beruhigt sein, denn Vater Martin schlug mich nie, auch wenn ich es manchmal verdient hätte. Einmal erzählte Mutter Johanna dem Vater am Abend in der Küche von meinen Streichen und verlangte von ihm: „Nun gib aber auch du einmal Rainer mit dem Rohrstock ein paar auf seinen Hintern!“ Vater Martin setzte sein ernstestes Gesicht auf, nahm mich beim Schlafittchen und ging mit mir ins Wohnzimmer. „So, jetzt schrei, so laut du kannst!“ flüsterte er mir ins Ohr. Ich stand wie vom Blitz getroffen da. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass ich laut schreien sollte, um die Mutter zu täuschen. Das danach einsetzende, ohrenbetäubende Gebrüll hätte man allerdings hören sollen! Ich schrie wie am Spieß, und Vater Martin lachte noch lange über seinen kleinen Liebling.
Zu uns Bunte-Kindern gehörten außerdem Wilfried und Irmgard, die Kinder vom Hausmeister des Bürogebäudes, Marianne und Heinz, die Kinder vom Nachtwächter - den gab es damals tatsächlich noch -, und schließlich auch Günther und Elly, zwei ganz besonders unternehmenslustige Räbchen vom nahegelegenen Bahnwärterhäuschen, das nicht zur Bunte gehörte. Beide waren nach einer harten Prüfung, einer Mutprobe, in den Kreis der Bunte-Kinder aufgenommen worden. Von dieser Mutprobe wird noch später zu erzählen sein.
Wir Bunte-Kinder konnten natürlich nicht zaubern, wir gingen auch bei keinem Zauberer in die Lehre. Auch gab es in der Umgebung der Bunte keine Drachen, auch keine dreiköpfigen Hunde, sondern nur einköpfige, und vor allem gab es zum Glück keinen verbotenen Wald. Ein Wald, wie man ihn sich nicht schöner vorstellen kann, grenzte nämlich im Nordwesten an die Bunte, und dieser Wald durfte von jedermann betreten werden. Wir wären sehr unglücklich gewesen, hätte irgendein böser Waldgeist uns verboten, ihn zu betreten. Nein, der Wald gehörte zu unserem Lebensraum, er gab uns alles, was Gottes herrliche Natur zu bieten hat.
Doch was es in der Bunte und ihrer Umgebung tatsächlich gab, waren Schutzengel. Jeder von uns hatte seinen eigenen Schutzengel, denn sonst wäre so manches Abenteuer nicht so glimpflich ausgegangen.